Fünf Uhr morgens, es ist stockdunkel und ein eisiger Wind lässt mich frösteln. Im Licht der Stirnlampe kämpfe ich mich mit Trailrunning-Schuhen über blank gefrorenes Gletschereis. Immer wieder rutsche ich ab, Meter für Meter kämpfe ich mich mühsam vorwärts. In meinem Kopf nur eine Frage in Dauerschleife: warum tust du dir das bloß an?
Aber von Vorne. Von Brand aus führt eine traumhafte Rundtour durch das Zalimtal über den Brandner Gletscher auf die Schesaplana und von dort über den Lünersee wieder zurück nach Brand. Die Wanderung ist mit 9,5h angeschrieben und wird normalerweise als Zwei-Tages-Tour gegangen. 2000 Höhenmeter und ca. 24 Kilometer, das muss doch schneller gehen! Als Vorbereitung für einige mehrtätige Trailrunning-Projekte im nächsten Jahr kommt mir die Runde gerade recht als kleiner Testlauf. Mal schauen wie schnell ich es schaffe.
Ich schnüre meine Trailrunning-Schuhe und los geht’s, vom Parkplatz bei der Palüdbahn direkt hoch durch den Wald.
Im Schatten geht es angenehm nach oben. Hier ist es kühl, vergleichweise zumindest. Beim Start brennt die Sonne unbarmherzig vom Himmel, in Brand hat es 35 Grad. Schmale Trails führen mich mit sanfter Steigung nach oben. Es läuft sich gut über die schmalen, schattigen Waldwege, begleitet von einer stetigen kühlen Brise.
Dann öffnet sich der Blickwinkel und das Zalimtal liegt vor mir. Über sanfte Wiesentrails geht es nun in der Ebene weiter. Hier kann ich wieder mehr Tempo machen. Ich renne an der schön gelegenen Unterzalimhütte vorbei, noch brauche ich keine Pause.
Mein Ziel liegt höher und noch brauche ich keine Pause. Immer auffi! Von hier aus wirken die Gipfel noch unendlich weit weg. Wolken umspielen den Grat. Nicht daran denken wie weit es noch ist, einen Schritt auf den Anderen. Hier finde ich Lauf-Flow pur, beinahe schwebend genieße ich die Landschaft um mich.
Bald kommt die Oberzalimhütte ins Sichtfeld. Doch bevor ich mir eine kurze Pause gönne, muss ich weiter hoch. Der Weg steigt an und ich quere eine Kuhweide. Bei Mutterkühen mit jungen Kälbern heisst es Achtung. Darum drossele ich mein Tempo etwas um die Kühe nicht zu provozieren. Mit einer 500-Kilo-Kuh veranstaltet man besser kein Kräftemessen.
Auf der Oberzalimhütte genehmige ich mir ein Glas frische Milch zur Stärkung. Winzig klein und unendlich weit weg thront die Mannheimer Hütte 800 Meter höher über dem Zalimtal. Auf einer Felswand thronend scheint sie den Wanderer verspotten zu wollen. Unüberwindbar wirken die gigantischen Felsblöcke vor mir. Von hier aus kann ich noch nicht einmal einen Weg nach oben erspähen. Aber irgendwo muss er sich die unbarmherzige Felswand emporschlängeln.
Technisch anspruchsvoll durch den Leibersteig
Ich folge den Markierungen weiter, der Weg führt mich sanft ansteigend Richtung Felswand. Nach und nach wird es felsiger und alpiner. Im nächsten Moment stehe ich schon im Leibersteig. Ab hier ist der Weg nun nur noch für trittsichere Wanderer mit Erfahrung empfehlenswert.
Jetzt wird es abrupt steiler und der Wegverlauf ist nicht mehr ganz eindeutig. Hier muss ich nun mein Tempo rausnehmen, was mir in der aufkommenden Mittagshitze aber ganz angenehm ist. Der Steig wechselt immer wieder zwischen Stellen die ich im Laufschritt überwinde und eher heiklen Passagen. Hier sind dann ab und zu die Hände gefragt, großteils ist der Weg aber gut begehbar. Etwas Schwindelfreiheit und Bergerfahrung natürlich vorausgesetzt.
Kleiner Tipp: man sollte darauf achten nicht zu weit von den Markierungen abzukommen, da man sonst in sehr rutschiges Schottergeröll kommt (Erfahrung macht schlau).
Der Leiberstieg wurde mit viel Sorgfalt und Liebe zum Detail angelegt. An einer Stelle finden sich sogar Stufen aus Baumstämmen welche eine Treppe über einen riesigen Felsblock bilden. Schön anzuschauen und auch super zum hochsprinten.
Am Grat tauchen mittlerweile Nebelschwaden auf, die die Hütte hungrig verschlingen. Eigentlich wäre gutes Wetter angesagt, doch der Himmel spricht eine andere Sprache. Mein Plan wäre es auf der Schesaplanascharte über dem Brandner Gletscher zu biwakieren. Aber mal schauen wie sich das Wetter noch entwickelt…
Nach ein paar Wegkehren ist es soweit. Ich stehe an der Felskante und unter mir erstreckt sich der Brandner Gletscher. Links davon erhebt sich die Schesaplana, von Wolken umspielt. Ein Wahnsinnspanorama.
Während ich auf die Mannheimer Hütte zugehe verschwindet diese komplett im Nebel. Auch der Gipfel hüllt sich in langsam in dunkle Wolken.
Ich beschließe mir erstmal ein Weizen zu genehmigen und zu schauen, wie sich das Wetter weiter entwickelt. Beim Bestellen kläre ich gleich mit dem Hüttenwirt ab ob denn noch ein Bett frei wäre. Ich habe Glück.
Immer wieder bricht die Sonne durch Löcher in der Wolkendecke, aber generell werden die Wolken dichter und dunkler. Die Vorstellung, oben am Grat von einem Gewitter überrascht zu werden, lockt mich eher wenig. Ich nehme also das freie Bett auf der Hütte und melde mich gleich zum Abendessen an. Während ich noch mit mir hadere ob ich mein Glück nicht doch noch draußen versuche, bricht der Regen sinnfluhtartig über die Hütte herein. Ich bin beruhigt, meine Entscheidung heute mit Dach über dem Kopf zu schlafen war richtig. Wie zur Bestätigung beginnt es dicke Eiskörner zu hageln. Kurz darauf hallt der Donner über den Berg und zahlreiche Blitze entladen sich in der Landschaft. Die Szenerie wird beinahe surreal, denn plötzlich taucht mitten im Gewitter wieder die Sonne auf und ein Regenbogen erstrahlt neben der Schesaplana.
Auf Regen folgt immer Sonne
Trotz (oder gerade wegen) des wechselhaften Wetters gibt es noch einen traumhaften Sonnenuntergang. Hinter der Hütte, direkt über einem hunderte Meter tiefen Abgrund, steht ein einzelner Stuhl. Mein Logenplatz für einen traumhaften Sonnenuntergang.
Ich genieße das Schauspiel auf dem einsamen Sessel am Rande des Abgrunds. Ein Traumplatz mit genialer Aussicht. Die Mannheimer Hütte liegt auf 2.679m Höhe und ist somit die höchstgelegene Alpenvereinshütte in Vorarlberg. Das bedeutet natürlich einen fantastischen Weitblick.
Von drinnen ruft der Wirt zum Abendessen. Draussen wechseln sich weiterhin Gewitter, Regen und Sonne schlagartig ab. Ich bin froh heute Nacht in der warmen Stube verbringen zu können. Dass ich statt Instantnudeln ein leckeres Abendessen mit Nachspeise bekomme, hat auch was.
Anstrengendes Nachtlager
Nach einer fast schlaflosen Nacht weiss ich wieder warum ich lieber draußen im Freien übernachte. Das Hüttenlager war – wie leider all zu oft – voll mit Leuten die die einfachsten Hüttenregeln nicht zu kennen scheinen. Mitten in der Nacht werden Rucksäcke gepackt, die Stirnlampen leuchten mit voller Helligkeit (statt gedämpft und mit Rotlicht) und anstatt auf den Boden zu leuchten wird Schlafenden direkt ins Gesicht geblendet. Aber Rache ist süß: um 4.00 Uhr morgens klingelt mein Wecker.
Brandner Gletscher im ersten Licht
Im Dunkeln mache ich mich auf den Weg. Der Weg ist unangenehm, alles ist nass und rutschig vom Regen und teilweise liegen noch gefrorene Hagelkörner herum. Anfangs folge ich den Markierungen auf den Felsen, nur um diese dann gleich wieder aus den Augen zu verlieren. Im Licht meiner Stirnlampe stolpere ich über ein brüchiges Schotterfeld nach unten. Schemenhaft im Sternenlicht erkennbar liegt die Gletscherfläche irgendwo hinter Bergen aus glitschigem, scharfem Gestein.
Kurz vor dem Brandner Gletscher tauchen dann die Markierungsstangen des Hüttenwirts auf. Ich bin wieder richtig. Eine letzte Stange markiert den Einstieg zum Gletscher. Vor mir funkelt das Gletschereis im Sternenlicht. Ein magischer Anblick!
Am Horizont leuchtet bereits das erste zarte Licht des Tages als ich den ersten Schritt aufs Eis setze. Mit meinen Trailrunningschuhen finde ich nur wenig Halt. Scheisse, es ist echt verdammt rutschig auf dem hartgefrorenen Eis! Ich schlittere über die Eisfläche und finde nur schwer wieder die Balance. Mit Trailrunning-Schuhen auf blankem Eis, eine glorreiche Idee! Mühsam kämpfe ich mich Meter für Meter vor und versuche nicht auszurutschen.
Eigentlich wollte ich ja am späten Nachmittag über den Gletscher, wenn er etwas angetaut und griffiger ist. Notiz für mich: Beim nächsten Mal kommen dann wieder Grödel für die Laufschuhe ins Gepäck. Zum Glück habe ich wenigstens Stöcke im Gepäck und kann mich damit etwas ausbalancieren. Ich stosse auf eine gefrorene Wasserrinne in der ich guten Halt finde und mich so über das blanke Eis vorarbeiten kann. Geht ja doch.
Langsam geht die Sonne auf, was für ein Anblick. Ich bin alleine auf einer weiten Eisfläche die sich langsam lila, violett und orange färbt. Für Momente wie diesen lohnen sich alle Strapazen. Es ist einfach magisch.
Der Brandner Gletscher ist übrigens spaltenfrei und normalerweise gut überquerbar, solange man nicht nach einer Nacht mit gefrierendem Regen mit Turnschuhen darüber will.
Aber es geht auch so und bald nähere ich mich dem roten Riesenpunkt am Fels, welcher die Ausstiegsstelle des Gletschers markiert. Hier stampfe ich im Schnee nach oben und kurz darauf haben ich wieder festen Boden unter den Füßen. Der Blick zurück offenbart ein traumhaftes Panorama im ersten Licht der Morgensonne. Die Strapazen beim Überqueren des Gletschers sind sofort vergessen.
Auf dem weiteren Aufstieg Richtung Schafköpfe wartet eine kurze, seilgesicherte Kletterpassage auf mich.
Vom Schesaplanasattel Richtung Gipfel
Weiter geht es über den Schesaplanasattel. Über Schotterpassagen schlängelt sich der Weg weiter, direkt an der Grenze zur Schweiz. Das Leuchten am Horizont wird heller und die blaue Stunde bricht an.
Langsam klettert die Sonne über den Horizont und steigt direkt über der Zimba empor. Es ist ein Gänsehaut-Moment als sich über dem „Matterhorn Vorarlbergs“ ein roter Feuerball aus den Wolken erhebt.
Schlagartig wird es heller und der Tag bricht an. Ich liebe diese Momente wenn sich die Landschaft in mildes Licht taucht, so ganz anders als wir es tagsüber kennen. Es sind Erlebnisse wie diese, die mich immer wieder in die Berge ziehen lassen.
Reste des Skilifts am Brander Gletscher?
Anfang der 80er Jahre war auf dem Brandner Gletscher ein Skilift geplant, welcher vor allem für das Sommer-Training des Vorarlberger Skikaders genutzt werden sollte. Irgendwie wurde der Plan mit dem Sommerskigebiet am Brandner Gletscher dann auf Eis gelegt. Hier liegt allerdings noch ein motorbetriebender Materialschlitten (?) mit Seilwinde. Wäre spannend ob man die Maschine noch zum Laufen bekommen würde, dann könnte man ja durchaus noch heimlich einen Skilift hier oben betrieben.
Weiter geht es südlichen Gletscherrand entlang auf einem teilweise felsigen Pfad Richtung Südwesten, die Schesaplana immer im Blick. Schlußendlich erreicht man eine Schotterhalde durch die sich ein Weg nach oben schlängelt.
Alleine am Gipfel der Schesaplana
Ich spule locker noch die letzten Meter über das Schotterfeld zum Gipfel ab und stehe kurz nach Sonnenaufgang auf der Schesaplana.
Normalerweise ist es hier extrem überlaufen, aber dank der Nebensaison genieße ich den Ausblick alleine. In aller Ruhe trinke ich noch meinen Morgenkaffee und als die ersten anderen Gipfelstürmer ankommen, bin ich schon wieder startklar für den Weg nach unten.
Über die Totalphütte zum Lünersee
Vom Gipfel aus liegen 2000 Höhenmeter abwechslungsreiche Trails vor mir und ich freue mich nach dem langen Anstieg endlich wieder Vollgas geben zu können. Noch einmal genieße ich den Ausblick, unter mir ziehen die Wolken sich die Wolken zusammen. Dann schnüre ich meine Trailrunningschuhe und renne los.
Der Weg startet alpin und verbockt vom Gipfel und wechselt dann auf feinen Schotter. Mittlerweile zieht es zu, unter mir liegt eine dichte Nebelwand. Aber egal, die Sicht reicht im Nahbereich noch gut aus. Und so lasse ich es über den Schotterabhang ordentlich laufen.
Zwischendurch wird es wieder etwas anspruchsvoller mit seilgesicherten Passagen. Hier nehme ich das Tempo wieder raus, Sicherheit geht vor.
Bald taucht dann der Lünersee in der Ferne auf, jetzt wird der Trail nochmals schwierig, vor allem bei hoher Laufgeschwindigkeit. Lose, grobe Steine und einige hohe Absätze fordern mich nochmals richtig. Aber nur einfache Wege wären ja langweilig!
Bockig zieht sich der Weg zum Lünersee, der heute ausnahmsweise mal vom Massentourismus verschont geblieben ist. Es lebe die Nachsaison!
Ich genieße noch ein letztes Mal kurz die Aussicht von oben auf den See.
Dann gebe ich Vollgas bis nach unten. Hinter mir zieht es weiter zu, der Gipfel der Schesaplana liegt mittlerweile vollständig in dichten Wolken.
Weiter zum Lünersee bis zur Douglashütte und zurück nach Brand
Über einen Wiesenweg erreiche ich den Lünersee, renne weiter Richtung Douglashütte und kurz davor nach unten über den „Bösen Tritt“ zur Talstation der Lünersee-Bahn.
Relativ unspektakulär geht es dann vom Parkplatz des Lifts zurück Richtung Brand. Zuerst der Strasse entlang, dann auf einem Wanderweg. Hier kann ich nochmals gut laufen lassen und quetsche noch die letzte verbleibende Energie aus meinen Beinen. Nach zahlreichen Kilometern bin ich wieder am Startplatz, ausgepowert aber glücklich. Definitiv eine Traumtour! Und die angeschriebene Zeit habe ich trotz zahlreicher Fotopausen um Stunden unterboten.
Nächstes Mal mach ich die Tour dann an einem Stück und auf jeden Fall mit Grödeln für die Gletscherüberquerung. Dann schauen wir was für eine Zeit drin sein kann!
Fakten:
Zeitbedarf: 9,5 Stunden
Höhenunterschied: 2000 m
Distanz: ca. 24 km
Ausgangspunkt: Brand, Parkplatz Ortsende
Einkehrmöglichkeit: Unterzalimhütte, Oberzalimhütte, Mannheimer Hütte, Totalphütte, Douglashütte
Schwierigkeit: T3
Du krassa Siach!
Hallo Martin,
Was für eine phantastische Tour!
Danke für die tollen Bilder.
Schöne Grüße
Sabine
Danke für die netten Worte Sabine! Liebe Grüße, Martin
Hallo Martin,
Mache morgen die gleiche Tour, wenn es geht am Stück *grins*
Die Tour ist mit 9,5 bis 10h veranschlagt, leider konnte ich jetzt nicht erkennen wie lange Du unterwegs warst, reine Laufzeit!??
Vielen Dank für Deine Mühen, ist ein hervorragender Bericht und hilft bei der Planung 👍
Grüße Frank
Ich könnte es dir gar nicht so genau sagen weil ich doch sehr viele Fotos gemacht habe und es ja dann auf zwei halbe Tage aufgeteilt habe. Sind ca. 2000hm und 25 Kilometer, für mich würde jetzt mal 6-7h reine Laufzeit (zumindest in den Ebenen und abwärts zügig unterwegs) schätzen…aber ich kenne deinen Fitness-Level nicht 🙂
Freut mich sehr wenn dir der Bericht geholfen hat, lass mal hören wie lange du gebraucht hast!
Schöne Grüße und viel Spaß, Martin
Hallo,
wann hast du die Tour gemacht?
Sind echt wunderschöne Fotos dabei. Alles gute und Berg Heil 😊
Hallo Josephine, freut mich wenn dir die Fotos gefallen. Ich hab die Tour Anfang August gemacht.
Berg Heil 🙂
Die Fotos – echt spektakulär! Hut ab!
Hallo Karl, vielen Danke, freut mich sehr 🙂
Dein Abenteuer zur Schesaplana klingt wirklich beeindruckend! Die frühen Morgenstunden in der Natur haben etwas Magisches, auch wenn es kalt und rutschig ist. Die Herausforderung des Gletschers ist nachvollziehbar – da wäre es sicher hilfreich gewesen, Grödel für die Laufschuhe dabei zu haben! Deine Momente auf dem Gipfel, während du einen Kaffee genießt und die Aussicht bewunderst, sind unbezahlbar. Ich freue mich darauf, bald wieder selbst auf den Trails unterwegs zu sein und neue Wanderungen auszuprobieren. Halte uns auf dem Laufenden, wie es dir beim nächsten Mal ergeht!